Wir hatten die Direktflüge Frankfurt - Duschanbe bei Somon Air gebucht und noch Kontakt mit der Deutschen Botschaft vor Ort aufgenommen, um eine Treffen zu vereinbaren. Vielleicht könnte man ja Spendenmaterialien über die Botschaft nach Tadschikistan senden? Vielleicht gäbe es ja sogar die Möglichkeit eine telemedizinische Achse aufzubauen?
Ich hatte diesmal das, was Han Solo mit einem „ganz miesen Gefühl“ beschrieben hat.
Bereits im Vorfeld wurde es holperig, der Parkplatz in Frankfurt am Flughafen, wo wir immer parken, war plötzlich nur noch online zu reservieren und alles! ausgebucht. Mit unserem "bisschen" Gepäck war eine Anreise per Bahn ausgeschlossen. Ich fand meine Idee, ein Auto zu mieten dann großartig - immer etwas neues ausprobieren. Immerhin schien es günstiger, als astronomische Summen für die noch vorhandenen Parkplätze direkt am Terminal zu buchen oder einen Parkplatz mit einer Übernachtung am Flughafen.
Am Samstag den 29.September ging es los zum Flughafen, Sixt hatte uns eine Rakete von Auto gegeben, einen A4 mit allen Schikanen, und so waren wir schnell dort. Mit allen Zusatzkosten kostete uns dies Auto aber 230€.
Beim Warten aufs Einchecken sahen wir eine andere Gruppe Ärzte mit viel medizinischem Material, sah alles sehr professionell aus, offensichtlich reisten sie mit einer Organisation nach Tadschikistan.
In unserer Schlange vor dem Check in war ein freundlicher Mann, mit dem wir ins Gespräch kamen. Er berichtete, er reise regelmäßig nach Tadschikistan, er sei dort geboren. Als Christ sehe er es als seinen Aufgabe, die Menschen in seiner früheren Heimat in ihrem Glauben und ihrer Arbeit dafür zu unterstützen.
Am Check-In sagte uns die freundliche junge griechische Dame am Schalter, dass sie zwar eine E-Mail habe, die darauf hinweist dass wir mit diesem Flug reisen, aber nur, dass man uns sehr zuvorkommend behandeln solle, nichts zum Thema Übergepäck. Also bezahlten wir 250 € Gebühr und schon waren wir durch. Dafür bekam ich einen extrem engagierten und servilen Steward, der mir ständig Tee anbot. Naja - und nicht zu vergessen - er besorgte mir vegetarisches Essen. Woj, der sich gleich nach dem Start eine ganze Reihe gesichert hatte und dort die meiste Zeit schlief, wurde nicht behelligt.
Beim Warten am Gate hatten wir auch den Medizintechniker Bernd Hesselmann kennengelernt, der bei der GIZ Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit in Dushanbe / Tadschikistan arbeitet. Seine Aufgabe besteht darin, medizinische Geräte zu reparieren bzw. den Mitarbeitern einer großen Gynäkologischen Klinik dort beizubringen, wie man diese Geräte wartet, um mögliche Reparaturen zu vermeiden. Von den Mitarbeitern sollte ein Plan zur Schulung an diesen Geräten und Wartung der Geräte erarbeitet werden. Ausserdem stellten Woj und Bernd fest, dass sie beide Fans von Offroadreisen sind.
Bereits vor dem Abflug hatten wir und alle anderen Passagiere eine Nachricht bekommen, dass der geplante Rückflug in einer Woche sich um 11 Stunden verzögert. Die wurde natürlich auch heiss diskutiert bei all den Reisenden, die in einer Woche wie wir wieder zurück reisen wollten.
Ankunft
Nach der Ankunft in Dushanbe staunten wir wieder über den neuen Flughafen. 2018 ist das Jahr des Tourismus in Tadschikistan, so dass noch mehr Werbung für Reisen in das Land unternommen wird.
Wir wurden von zwei Kollegen am Flughafen abgeholt und in unsere Unterkunft „Marian’s Guesthouse“ gebracht. Dort haben wir bei fast jedem Aufenthalt in Dushanbe gewohnt und es war immer eine Oase der Ruhe gewesen mit seinem schönen Garten und ein bisschen wie nach Hause kommen.
So waren wir etwas verwundert, dass alle Regale und Schränke im Haus leer geräumt waren. Statt der beliebten kleinen Videothek und Bibliothek am Treppenabsatz im ersten Stock gähnte uns ein leeres Regal entgegen. Was ging hier vor sich?
Nach kurzem Erholungsnickerchen wurden wir früher als erwartet von unserem an der Zimmertür klopfenden Freund geweckt: er entschuldigte sich, der Professor wollte uns doch früher sehen als ursprünglich vereinbart.
Dort begrüßten uns wie erwartet alle Familienmitglieder. Nach dem Verteilen der Geschenke für alle Kinder ging das Festessen los mit unglaublichen Mengen an Essen. Ich bin dieses Jahr mal aus dem schicken Esszimmer, wo nur die Männer essen weg zum Tapchan der Frauen gegangen. Dort war zwar die Unterhaltung schwieriger, da nur Farzona auf Englisch übersetzen konnte und ich dem sehr schnell gesprochenen Russisch und Tadschikisch kaum folgen konnte. Dafür erlebte ich aber mit einen fantastischen Abend mit allen Frauen, den typischen Gesprächen und viel Herzlichkeit. Die Mütter haben alles im Griff, die großen Kinder kümmern sich mit um die kleinen.
Zurück in unserer Unterkunft begrüßte uns im dunklen Garten der Manager des Gästehauses, der dort das Heraustragen des Inventars überwachte. Er erklärte uns dann, dass nach unserer Abreise das Gästehaus geschlossen werde, wir seien die letzten Gäste. Es seien Bauarbeiten rund um unsere Herberge geplant, dabei würden alle Häuser abgerissen werden und es sei zu laut und zu gefährlich wegen der Erderschütterungen (?), um den Betrieb aufrecht zu erhalten. Die Schließung dauere ca 2 Jahre, deshalb werde auch jetzt alles Inventar verkauft und die Besitzerin sei schon nach Australien zurück gegangen.
Letztendlich sind wir froh, dass wir an diesem Ort, der in diesem Land immer ein Zufluchtsort gewesen ist, noch ein Mal bleiben konnten.
Aber unter welchen Bedingungen!
Dass der Betrieb kaum aufrechterhalten ist, wenn man alles verkauft und rundherum wirklich eine 24/7 Großbaustelle entsteht, über die man gehen muss, wenn man zum Gästehaus gelangen will, dass man am
Staub fast erstickt und der Lärm durch fehlende Schalldämmung kaum auszuhalten ist und die kleinen "Erdbeben"..., wurde uns in den nächsten Tagen schnell klar. Lustig war es, wenn ich, wie gewohnt,
nach dem Frühstück meinen Teller auf die Arbeitsfläche neben der Spüle stellen wollte, diese aber plötzlich am zweiten Tag nicht mehr da war. Immer, wenn wir nach Hause kamen, fehlte wieder etwas
oder war umgebaut.
Und an einem späten Abend mussten wir uns, um zu unserer Unterkunft zu gelangen, an dem Abrissbagger vorbeidrängen. Der schwang allerdings bei seiner Arbeit naturgemäß ständig hin und her, was das Vorbeirennen noch interessanter machte.
Die Klinik bzw die uns bekannten Mitarbeiter begrüßten uns wie immer sehr freundlich. Am ersten Tag bestand unsere Arbeit nur aus Sprechstunde. Wir schauten Hernien und Schilddrüsen, Tumore und narbig verheilte Verbrennungen an, begutachteten Röntgenbilder und CTs, machten Ultraschall. Es wurden uns viel mehr CDs gezeigt als in den vergangenen Jahren, auch tauchten öfter Laborbefunde auf.
Die Patienten kommen also mit einer Plastiktüte voller Befunde in die Sprechstunde. Dort findet man dann ein Sammelsurium an Befunden. Diese vorangegangene Diagnostik beruht auf vorangegangenen Besuchen bei anderen Ärzten. Der Patient hat also bestimmte Beschwerden, er geht zu einem Arzt, wird untersucht und bekommt einen Zettel mit entsprechenden Empfehlungen an weiterer Diagnostik. So wird er dann zum Beispiel zum befreundeten Labor geschickt. Was er selbst bezahlen muss. Hier zeigt sich der Vorteil eines Gesundheitssystems mit Budget, denn manche Patienten erschienen mit einer irren Auswahl an Laborparametern, die in keinem ersichtlichen Zusammenhang zu den geklagten Beschwerden stand.
Nachdem wir von den vielen Patienten einige herausgesucht hatten, die wir operieren konnten und die davon auch profitieren würden, führten uns unsere Freunde uns noch durch das Krankenhaus. Am auffälligsten war die unglaubliche Zunahme an großen Plakatwänden mit Bildern des Präsidenten. Gab es früher eines solcher Plakate auf dem Flur einer Abteilung waren es nun fünf.
Ausserdem waren überall Hinweise, dass man Korruption vermeiden solle, man solle den Ärzten kein Geld geben. Und mir fielen die ersten Hinweistafeln zum Thema Händehygiene auf. Allerdings fehlte wirklich überall dann eine Möglichkeit zur Händedesinfektion, nur im Zimmer des Professors gab es einen Spender mit Händedesinfektion.
Im OP
Am nächsten Tag, dem 2. Oktober, ging es dann in den OP: jeden Tag erfolgten 3-4 OPs, Hernien, Schilddrüsen-OPs, große Kolonchirurgie. Manchmal mit Licht, manchmal leider nur mit Handylampen oder kleinen Stehlampen neben dem Tisch.
Einmal operierte Woj in einem top ausgestatteten Saal mit modernster Technik, 3 verschiedenen Stecker Systeme (US-amerikanisch, Europäischer Schukostecker und britischer Stecker), eine Herz-Lungen-Maschine stand dort sogar. Ein toller Anästhesiewagen aus den USA. Aber was mir dann erklärt wurde: diese Geräte durften deshalb nicht benutzt werden, weil es der Saal und die Geräte der Kardiologie sind, wir müssten bezahlen, um das zu nutzen.
Deutsche Botschaft
Am späten Nachmittag des 2. Oktobers hatten wir ein Treffen in der deutschen Botschaft in Dushanbe mit dem Botschafter Neithart Höfer-Wissing sowie Herrn Knut Steinhäuser, der den Bereich Entwicklung der Botschaft in Dushanbe leitet. Wir stellten uns eine mögliche Unterstützung durch die Botschaft bei dem Materialtransport nach Tadschikistan vor. Wir als häufig naiv-optimistische Menschen waren überrascht von der eher pessimistischen und abgeklärten Sichtweise des Botschafters. Wie sich in den Tagen darauf zeigte, war seine Sorge natürlich begründet, dass sich niemand auf einen offizielles Entgegennehmen der Spenden einlassen würde.
Das Gespräch lief sehr freundlich und wir wurden noch zu einem Gartenfest der Botschaft anläßlich des Tags der Deutschen Einheit eingeladen. Das Garten fest sollte am Freitagabend kurz vor unserer geplanten Abreise stattfinden.
Während wir uns vor dem Treffen in der Botschaft kurz ausruhten, ging ich meine Mails durch und stellte überrascht fest, dass unser Rückflug ohne Angabe von Gründen gestrichen worden war. Das ist so ein Moment, wo einem erstmal das Herz in die Hose rutscht. Alle Leute sagen immer. Oh, habt ihr denn gar keine Angst, so ein Abenteuer auf euch zu nehmen? Solche Momente sind wahrscheinlich der Grund, weswegen andere Leute so etwas nicht auf sich nehmen. Wir hatten als Paar bereits viele solcher Momente, sie sind furchtbar, schweißen einen aber noch weiter zusammen. Irgendwie sind wir immer aus solchen Situationen rausgekommen. Aber es ist nicht schön, sich gerade in so einer Situation zu befinden. Ohnmächtig, meistens im Konflikt mit Grenzbeamten, ob an der Ukraine oder usbekisch-tadschikischen Grenze, oder einfach nur den Behörden ausgeliefert.
Wir sollten also in drei Tagen abfliegen und hatten keinen Flug mehr! Unsere Kollegen verließen sich auf uns, dass wir an unseren Arbeitsplatz zurückkehren. Und ehrlich gesagt hätten wir auch gar kein großes Interesse, länger als eine Woche zu bleiben. So viele Möglichkeiten, aus Dushanbe wegzufliegen, hat man leider nicht.
Letztendlich macht man immer das Beste daraus, vielleicht hätten wir sogar uns einen schönen Urlaub daraus machen können. Aber so dachten wir uns, wir nehmen die Herausforderung an und sehen mal was wir schaffen können! Noch am Abend sind wir in das 24 Stunden am Tag geöffnete Büro der Somon Air gefahren, um vor Ort eine Alternative für einen Rückflug auszuhandeln. Die Alternativen, die man uns angeboten hatte, waren Flüge Nach Moskau oder Almaty in Kasachstan. Von dort hatten wir uns dann um die weitere Heimreise kümmern müssen! Auch das wäre sicher eine reizvolle Herausforderung, wenn wir unbegrenzte zeitliche und finanzielle Möglichkeiten gehabt hätten. Zwei oder drei Tagen spielen hier keine Rolle....relax please :)
Doch aber wollten wir doch möglichst direkt nach Hause fahren. Im Gespräch mit der Angestellten im Büro der Airline zeigte sich schnell, dass wir mit ihr nicht weiterkommen. Auf unser Drängen hin riefen sie den Chef des Büros privat an, der sich meinen Vorschlag eines Rückrufs von ihr aufschreiben ließ um das am nächsten Morgen zu klären. Ich hatte eine Verbindung mit Turkish Airlines rausgesucht, von Dushanbe nach Bremen mit Zwischenstopp in Istanbul. Diese Flüge hatte ich am Ende der Woche so oft irgendwelchen Leuten aufgeschrieben, dass ich Flugnummern- und -zeiten immer noch auswendig weiß.
Am nächsten Morgen ging es wie immer früh in den OP, wir gaben unseren Freunden die Telefonnummer des Büros wie wir auch dem Büro die Nummer unserer Freunde gegeben hatten - wegen der besseren Verständigung. Sie meinten ... no problem, relax .. wir machen das schon ... kein Flugzeug .. kein Thema.. Aber kein Anruf kam.
Nachmittags besuchten wir den fantastischen Künstler Jamshed Juraev, der Ehemann der befreundeten Ärztin Rano. Jamshed stellt Mosaike aus Steinen her. Diese Kunstwerke werden vom Staat gerne als Gastgeschenke an andere Staaten verschenkt. Auch wir haben einige kleinere sehr schöne Bilder aus Stein von ihm. Aber was wir in seinem Atelier sahen, waren atemberaubend schöne Bilder, so arbeitet er an der Umsetzung eines Aquarells von wilden Pferden in ein Mosaik.
Um das Gebäude herum sind viele alte Fresken, kleine Stauen und andere Werkstätten, zum Beispiel eines Schlossers. Unter anderem steht auch in dem Hinterhof seiner Werkstatt eine riesige Statue von Lenin. Sie war die zweite Leninstatue, die in der Sowjetunion aufgestellt worden war, sie datiert auf 1926. Jamshed sagte sehr weise, dass eben alles Teil der Geschichte des Landes sei und nichts davon vernichtet werden sollte. Dass man Erinnerung braucht, um eine gute Zukunft zu gestalten. Beindruckende Kunstwerke eines beindruckenden Menschens.
Für alle Dushanbe-Besucher ein Muss!
Abends besuchten wir erneut das als größte Teehaus bekannte Gebäude der Welt, die Choikhona Kokhi Navroz. Ein gigantischer Prachtbau mit Bowling Bahn, Kino und anzumietenden Festsälen. Anschließend gingen wir mit einigen sehr freundlichen und einflußreichen Freunden des Professors Essen am See in der Nähe.
Auch hier sprachen wir das Problem unseres nicht mehr vorhandenen Rückflugs an. Man versprach, sich darum zu kümmern - "relax, no problem...i call you..tomorrow".
Koloskopie
Am Donnerstag, dem vorletzten Tag haben wir morgens gleich eine Koloskopie gezeigt bekommen. Auf einer Liege mit schöner Paisley-Muster Bettwäsche wurde eine junge Frau untersucht. Der kleine weißgekalkte Raum bekam Licht durch ein kleines Fenster und Farbe durch einen Streifen grüner Farbe am Boden entlang. Ein Waschbecken, ein Paravent, hinter dem sich die Frau hier Hose entledigte. Ein Hinweisschild zur Händedesinfektion, aber kein Desinfektionsmittel.
Wir durften bei der Koloskopie durch das Lehrkoloskop zuschauen, es gab auch Handschuhe. Die Schwester hielt der wachen Patientin die Hand und beruhigte sie, so gut es ging. Komplette Koloskopie in ca 10 Minuten, dann ging es ins Büro des koloskopierenden Internisten, der dem Mann der Patientin berichtete, dass alles in Ordnung sei. Neben seinem Schreibtisch waren tolle riesige Plakatwände mit Bildern einer Kapselendoskopie. Sie standen in starkem Kontrast zu dem kleinen weissgekalkten Kämmerlein, Ich konnte mir die Frage nicht verkneifen und fragte, was diese Plakatwände sollten. Für Studenten. Ah ja.
Die anschließenden OPs gingen ohne Probleme. Wir zeigten allen zum x-ten Mal die Instrumente, erklärten alles genau und ließen die Kollegen die Instrumente bedienen. Wie immer hieß es , man kenne das schon, wir sollten nur die Geräte da lassen. Nach der letzten OP wollten wir abends die Klinik verlassen. Ob wir noch eine OP machen könnten oder die Instrumente dafür geben könnten? Wir gaben den inzwischen gut instruierten Kollegen alles, was sie wünschten und fuhren los. Am nächsten Tag mussten wir erschüttert feststellen, dass der Patient die OP nicht gut überstanden hatte und erneut operiert werden musste. Moderne Geräte sind leider eben nicht alles.
Das Haus, was uns stolz gezeigt wurde, war mit barockisierten Möbeln aus der Türkei eingerichtet, Unmengen an Goldfarbe und Glitzer, ungewöhnlichen Lösungen (ins Badezimmer musste man durch einen Schrank steigen), einem riesigen Partykeller mit Discolichtern und einer zwar modernen aber dunklen Küche im Keller.
Im Garten kochte im Gartenhaus die Frau des Sohnes für alle Gäste. Ein Tapchan für Frauen und ein Tisch für die Männer war gedeckt. Da wir den ganzen Tag nichts gegessen hatten, stürzten sich alle schon mal auf die Vorspeise. So fand dann der riesige gebackene Kürbis und das anschließende obligatorische Nationalgericht Plov kaum mehr Zuspruch. Zum Leidwesen der armen Köchin, die erst essen konnte, als alle fertig waren und dann traurig feststellen musste, dass keiner mehr wirklich Hunger hatte.
Was für ein Bild habt ihr nun von dieser Frau? Hier ist ein Foto!
Der 6. Tag in Dushanbe, unser letzter Tag war unglaublich. Die Chronologie des Chaos
... oder: wie viel Abenteuer passt in einen Tag?
9°° - noch ein Op - Schilddrüse ohne Isthmus
Morgens ging es los mit einer Schilddrüsenoperation. Dieses stellte sich jedoch als sehr ungewöhnlich heraus, es gab keinen Isthmus, was die OP - sagen wir mal - interessant machte. Während Woj unter dem OP Kittel schwitzte, saß ich auf heißen Kohlen, ob der von mir ausgesuchte Flug noch vorhanden war, ob die Arline anruft. Woj hatte sich entschieden, der Airline bzw. den Leuten, die sich für uns an den entscheidenden Stellen einsetzen wollten, noch eine Chance bis zum Mittag zu geben. Ich war da weniger optimistisch inzwischen.
Nach der letzten OP (ca. 13.00 - Freitagsgebet....) sollten wir dann in die Berge fahren, noch ein bisschen entspannen (was für eine bekloppte Idee!). Das versetzte mich in helle Aufregung, denn dort hatten wir definitiv keinen Empfang mehr, so dass ich weder notfallmäßig buchen noch einen Anruf der Airline entgegen nehmen konnte. Ausserdem schloss das Büro der Turkish Airline um 17°°, die Fahrt in die Berge dauerte 1,5 Stunden in eine Richtung, ausserdem sollten wir da noch ein Festmahl einnehmen. Nach meiner Berechnung würden wir eine für eine Buchung rechtzeitige Rückkehr kaum schaffen. Egal, auf gings!
12°° - Visite beim Minister für Tourismus
Wie immer wurde noch ein unerwarteter Zwischenstopp gemacht. Es war ja genug Zeit!
Wir sollten einen jungen Mann begutachten. Man schaute sich Bilder eines Schädel-MRTs im halbdunklen Schlafzimmer an und der Sohn des Ministers ging mit leichten Kontrakturen vor uns auf und ab. Ich wurde nicht beachtet, konnte auch mangels Russisch-Kenntnissen nicht mitreden. Daher konnte ich mir in Ruhe den Gang des jungen Mannes und dann die MRTs anschauen. Fokale Läsionen! Beim dritten Mal hörte man mich. Ja, die Diagnose einer MS hätten auch die Ärzte in Moskau gestellt. Ich erklärte die mögliche Therapie und warum Physiotherapie unverzichtbar sei, dann ging es weiter.
Ergänzung: Antje hat hier eine hervorragende Arbeit geleistet. Zum Erstaunen von allen! hat sie dem jungen Man seine Erkrankung und was wichtiger ist ... die Therapie erklärt, die bis jetzt überhaupt nicht stattfand.
Dann wieder im Auto machte ich den Minister auf unser kleines Problem eines fehlenden Rückflugs aufmerksam. Er war verwundert, dass man für uns noch keine Ersatzflüge habe buchen können! Ich notierte die Flüge für ihn und er versprach, sich darum zu kümmern und anzurufen. Er verabschiedete sich mit den Wörten "relax... go to the mountain, no airplane ... no problem". Woj musste sich ein lautes Lachen verkneifen. Weiter in die Berge und ins Funkloch!
14°° - Weinberg und Festmahl in den Bergen
Angekommen bei unserem Freund, der einen Weinberg besitzt und ein wunderschönes Haus in den Bergen.
Wie in den Jahren zuvor war ein unvorstellbares Festmahl vorbereitet. Leider wurde die Zeit immer knapper. Um 15°° verlor Woj tatsächlich auch etwas die Nerven und versuchte, mit verschiedenen Telefonen bei der Airline anzurufen. Bakhtovars Telefon hatte kein Guthaben mehr (geil!), das nächste Telefon hatte das falsche Netz... wirklich. Aber schließlich gelang es ihm mit einem anderen Telefon, zur Airline durchzudringen und nach aufgeregten Gesprächen wurde er hin und her verbunden (heißt abgewimmelt). Auch der Hauptmanager der Airline konnte hier nicht helfen, wir sollten noch nach 17.00 Uhr anrufen... bis dahin "relax ...".
Also Abbruch der Party und sofort zurück in die Stadt. Aber man muss doch noch eben einen Besuch auf dem Weinberg machen und etwas Wein schneiden. Wir müssen ja schließlich Trauben mitnehmen! Der Besuch auf dem Weinberg war natürlich auch nicht ganz so kurz.
Zusätzlich bekam Antje als "Wiedergutmachung" sämtliche im Hause vorhandene Schuhe und Kopftücher zum Probieren und Mitnehmen. Sie wehrte sich argumentierend, dass es zu klein oder zu groß sei. Ich zischte nur durch die Zähne.." nicht verhandeln... einpacken alles, kein Zeitverlust mehr", Kofferaum auf, alles rein und los!
15:40 - Irrsinnsfahrt zurück zu Turkish Airline Office
Kurz vom Durchstarten wollte Bakhtovar noch das Kühlwasser bei heissem Motor prüfen! Also das nächste Unglück war da. Das kochende Wasser spritzte nun raus, verbrannte die Hände von Bakhtovar und war futsch. Schnell Wasser geholt, bis zur Hälfte nachgefüllt, Hände von Bakhtover untersucht ... ok er kann weiter fahren.. also loooos!!!
In einem Affenzahn fuhr uns Bakhtovar zurück nach Dushanbe. Natürlich wurden wir aufgrund einer Geschwindigkeitsübertretung von fast 100% von der Polizei angehalten. Mit Bakhtovars Phantasie und meinem Blick redeten wir uns raus (Notfall-Op und ob der Polizist sein Job verlieren möchte...) und konnten die Fahrt fortsetzen (wieder 3 Minuten verloren).
Die Polizei ist angehalten, Touristen im Jahr des Tourismus keine Unannehmlichkeiten zu bereiten. Die Airline hat hier jedoch keiner erwähnt…
16:50 - Tickets kaufen für den Rückflug!!
Kurz vor Büroschluss trafen wir bei Turkish Airline im luxuriösen Büro mit kaltem Wasser und bequemen Sesseln ein und eine freundliche junge Dame verkaufte uns für 1500€ zwei Rückflugtickets. Auf die Frage ob hin und zurück .... sind wir im Lachen ausgebrochen.
Da Woj (zurecht wie sich zeigte) vermutete, dass die Rückerstattung der vor Monaten gekauften Rückflüge durch Somon Air sich schwierig gestalten könnte, fuhren wir im Anschluss dort hin. Die Damen dort waren überfordert allein mit dem Ausdrucken des Rückerstattungsantrages. Was für ein Gegensatz. Dies nahmen auch unsere tadschikischen Freunde wahr.
Wir fuhren zum Gästehaus, teilten alle noch vorhandenen Materialien auf und gaben sie unseren Freunden.
18°° - Gartenfest Deutsche Botschaft
Mit der Einladung auf dem Smartphone ging es zum Gartenfest zum Tag der Deutschen Einheit. Man begrüßte uns, fand uns sofort auf der Liste, was für eine andere Welt. In einem großen schönen Garten tauchten wir ein in diese besondere Atmosphäre aus verschiedenen Menschen aus aller Welt, die alle in Tadschikistan arbeiteten. Wir trafen auch unseren neuen Bekannten Bernd wieder. Es gab Würstchen, Leberkäse und Kartoffelsalat, tadschikisches Bier und Wein. Aber leider konnten wir hier nicht den Abend ausklingen lassen. Bakhtovar hatte die drei Stunden auf dem Parkplatz gegenüber auf uns gewartet und fuhr uns nun zum Professor zum Abschied.
22°° - Abschied
Ein freundlicher Abschied vom Professor und seiner Familie und die Einladung, im nächsten Jahr doch mit allen Kindern und Eltern zu Besuch zu kommen.
Dann ging es zurück zum Gästehaus, wir mussten ja noch schnell packen. Außer unseren wenige Klamotten waren da jetzt ca 40kg Obst. Alles wurde einfach in die leeren Taschen reingeworfen. In Deutschland wollte Woj damit ein Obstgeschäft aufmachen :)
Bei der Menge an Obst fragte ich Woj besorgt, ob er wirklich wisse, was er da alles eingepackt hat, da in der Türkei auf Drogen Todesstrafe droht. Er antwortete .... relax.. no problem...;) wir mussten wieder lachen.
3°° - Flughafen
Bakhtovar holte uns ab und wir wunderten uns über die nassen Strassen. Ja, der Präsident, der mit dem einzigen Flugzeug, das international landen durfte, zum Staatsbesuch nach Japan geflogen war, kam ja gerade heute nacht zurück. Deshalb hatte man die Strassen „gewaschen“ um den Staub einzudämmen. Meine Befürchtung, es könne Schwierigkeiten und Strassensperren auf dem Weg zum Flughafen geben, bewahrheiteten sich jedoch nicht. Ohne weitere Probleme kamen wir durch die Kontrollen ins Flugzeug und hoben pünktlich in Richtung Istanbul ab.
Gedanken
Ich gebe zu, ich war erleichtert. Unter diesen Bedingungen zu arbeiten, Ruhe zu bewahren, wenn das Licht ausfällt, ohne moderne Technik wie Neuromonitoring oder auch nur OP-Tische mit guter Lagerung für Kolon-OPs, erschwerter Kommunikation, all das ist sehr anstrengend. Wenn man dann auch noch typischerweise ab dem zweiten bis dritten Tag das Essen nicht mehr verträgt und nachts kaum Schlaf bekommt, ist das „the next level“. Und wir reden ja nicht von einfacher Arbeit, sondern es geht um das Leben von Patienten. Ich bewundere immer wieder, mit welcher Ruhe und Geduld Woj solche Situationen meistert. Es freut mich, dass er sagt, dass er ich dafür braucht. Während der OPs versichert er sich auch immer wieder, dass mich genau aufpasse, ich stehe immer auf Abruf bereit, wenn er etwas braucht und helfe wie ich kann.
Was mich bei diesem Aufenthalt aber besonders getroffen hat, war zu sehen, dass auch nach so vielen Jahren der Arbeit mit den Kollegen das System sich eher verschlechtert hat. Das Land verschließt sich, die zunehmende Propaganda verschleiert, in welchem Ausmaß dort Missstände herrschen. Was heißt das? Dass wir uns von unserer ursprünglichen Idee verabschieden, alles besser nur zu zweit ohne eine Organisation zu machen, direkt zu helfen und zu arbeiten. Dass dies leider den Missbrauch der Mittel, die wir zur Verfügung stellen, sehr viel leichter macht. Und wir somit leider nur den Profit einzelner gefördert haben.
Aber positiv ist immer zu sehen, dass wir viele Patienten operiert und ihnen damit sicher geholfen haben und alle haben die Klinik wieder verlassen. Und einigen Kollegen einen Einblick in das Denken westlicher Medizin gegeben haben.
So hat uns in dieser Stimmung die Rede von Herrn Botschafter Höfer-Wissing besonders bewegt, der daran erinnerte, wie wichtig die Demokratie ist, warum Diversität und Freiheit ein Land stark machen, so dass es auch anderen Ländern helfen kann.